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English: Custody / Español: Detención preventiva / Português: Prisão preventiva / Français: Garde à vue / Italiano: Fermo di polizia

Die Ingewahrsamnahme ist ein zentraler Begriff im Bereich des Polizeirechts und bezeichnet die vorübergehende Freiheitsentziehung einer Person durch staatliche Behörden. Sie dient der Abwehr von Gefahren oder der Sicherung von Strafverfolgungsmaßnahmen, ohne dass bereits eine formelle Verhaftung vorliegt. Die rechtlichen Grundlagen und praktischen Auswirkungen dieses Eingriffs sind komplex und unterliegen strengen gesetzlichen Vorgaben.

Allgemeine Beschreibung

Die Ingewahrsamnahme ist eine hoheitliche Maßnahme, bei der eine Person durch die Polizei oder andere ermächtigte Behörden in Gewahrsam genommen wird. Sie stellt einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG) dar und bedarf daher einer klaren gesetzlichen Grundlage. In Deutschland regeln vor allem die Polizeigesetze der Länder sowie die Strafprozessordnung (StPO) die Voraussetzungen und das Verfahren.

Eine Ingewahrsamnahme darf nur erfolgen, wenn sie zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist oder wenn sie der Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten dient. Die Maßnahme ist zeitlich begrenzt und muss verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass weniger einschneidende Mittel, wie z. B. eine Platzverweisung, zuvor geprüft werden müssen. Die Dauer der Ingewahrsamnahme variiert je nach Rechtsgrundlage, beträgt jedoch in der Regel nicht mehr als 24 Stunden, sofern keine richterliche Entscheidung über eine Verlängerung herbeigeführt wird.

Während der Ingewahrsamnahme hat die betroffene Person bestimmte Rechte, darunter das Recht auf Information über die Gründe der Maßnahme, das Recht auf Benachrichtigung einer Vertrauensperson sowie das Recht auf ärztliche Versorgung. Die Behörden sind verpflichtet, die Person über diese Rechte zu belehren. Zudem muss die Ingewahrsamnahme dokumentiert werden, um eine spätere Überprüfung der Rechtmäßigkeit zu ermöglichen.

Ein wichtiger Unterschied besteht zwischen der polizeilichen Ingewahrsamnahme und der richterlich angeordneten Untersuchungshaft. Während die Ingewahrsamnahme eine vorläufige Maßnahme ohne richterliche Anordnung darstellt, setzt die Untersuchungshaft einen richterlichen Beschluss voraus und ist in der Regel längerfristig angelegt. Die Ingewahrsamnahme kann jedoch in eine Untersuchungshaft übergehen, wenn ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft gestellt und vom Gericht bewilligt wird.

Rechtliche Grundlagen

Die rechtlichen Grundlagen der Ingewahrsamnahme finden sich in verschiedenen Gesetzen. Auf Bundesebene regelt die Strafprozessordnung (StPO) in § 127 die vorläufige Festnahme durch jedermann sowie durch die Polizei, wenn jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird. Die Polizeigesetze der Länder enthalten detaillierte Bestimmungen zur Ingewahrsamnahme zur Gefahrenabwehr. Beispielsweise sieht das Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) in § 35 die Ingewahrsamnahme vor, wenn sie erforderlich ist, um eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.

Ein zentrales Prinzip ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in Art. 20a GG verankert ist. Danach muss die Ingewahrsamnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Die Maßnahme darf nicht länger andauern als notwendig, und die betroffene Person muss unverzüglich einem Richter vorgeführt werden, wenn eine längerfristige Freiheitsentziehung in Betracht kommt. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Art. 5 schützt ebenfalls das Recht auf Freiheit und Sicherheit und setzt enge Grenzen für Freiheitsentziehungen.

Anwendungsbereiche

  • Gefahrenabwehr: Die Ingewahrsamnahme kann erfolgen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, z. B. bei gewalttätigen Ausschreitungen oder wenn eine Person eine konkrete Bedrohung für sich oder andere darstellt.
  • Strafverfolgung: Im Rahmen der Strafverfolgung dient die Ingewahrsamnahme der Sicherung von Beweisen oder der Verhinderung von Straftaten, insbesondere wenn der Verdacht einer schweren Straftat besteht und Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr vorliegt.
  • Schutz der betroffenen Person: In einigen Fällen, z. B. bei Suizidgefahr oder schwerer Trunkenheit, kann die Ingewahrsamnahme auch dem Schutz der betroffenen Person selbst dienen, wenn diese nicht in der Lage ist, für ihre Sicherheit zu sorgen.
  • Identitätsfeststellung: Wenn die Identität einer Person nicht auf andere Weise festgestellt werden kann und dies für die Aufklärung einer Straftat oder die Abwehr einer Gefahr erforderlich ist, kann eine Ingewahrsamnahme erfolgen.

Bekannte Beispiele

  • Bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen oder Demonstrationen kommt es regelmäßig zu Ingewahrsamnahmen, wenn Personen durch gewalttätiges Verhalten auffallen oder eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen. Ein bekanntes Beispiel ist die Ingewahrsamnahme von Hooligans bei Risikospielen, um Ausschreitungen zu verhindern.
  • Im Zusammenhang mit Terrorismusermittlungen wurden in der Vergangenheit Personen in Gewahrsam genommen, um mögliche Anschläge zu vereiteln oder Beweismaterial zu sichern. Ein Beispiel hierfür sind die Razzien und Festnahmen im Rahmen der Ermittlungen zu islamistischen Netzwerken in Deutschland.
  • Bei Verdacht auf häusliche Gewalt kann die Polizei den mutmaßlichen Täter in Gewahrsam nehmen, um die gefährdete Person zu schützen und weitere Gewalt zu verhindern. Dies ist ein typisches Beispiel für eine Ingewahrsamnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit.

Risiken und Herausforderungen

  • Rechtsmissbrauch: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, sicherzustellen, dass die Ingewahrsamnahme nicht willkürlich oder diskriminierend eingesetzt wird. Es gibt Fälle, in denen die Maßnahme missbräuchlich angewendet wurde, z. B. gegen Minderheiten oder bei politischen Protesten, was zu rechtlichen und gesellschaftlichen Kontroversen führt.
  • Psychische Belastung: Die Ingewahrsamnahme stellt für die betroffene Person eine erhebliche psychische Belastung dar, insbesondere wenn sie unschuldig ist. Die Erfahrung, die Freiheit entzogen zu bekommen, kann langfristige Folgen wie Angststörungen oder Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen nach sich ziehen.
  • Rechtliche Grauzonen: In einigen Fällen ist unklar, ob die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme tatsächlich vorlagen, was zu rechtlichen Auseinandersetzungen führt. Besonders problematisch ist dies, wenn die Maßnahme auf vagen Verdachtsmomenten beruht oder die Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend geprüft wurde.
  • Dokumentationspflichten: Eine lückenhafte oder fehlerhafte Dokumentation der Ingewahrsamnahme kann die spätere Überprüfung der Rechtmäßigkeit erschweren. Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass rechtswidrige Maßnahmen nicht sanktioniert werden oder Betroffene keine Entschädigung erhalten.

Ähnliche Begriffe

  • Untersuchungshaft: Im Gegensatz zur Ingewahrsamnahme setzt die Untersuchungshaft einen richterlichen Beschluss voraus und dient der Sicherung des Strafverfahrens. Sie ist in der Regel längerfristig angelegt und unterliegt strengeren rechtlichen Anforderungen (§ 112 StPO).
  • Vorläufige Festnahme: Die vorläufige Festnahme nach § 127 StPO ist eine spezielle Form der Ingewahrsamnahme, die bei Verdacht auf eine Straftat und Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr erfolgt. Sie darf nur bis zur Vorführung beim Richter andauern.
  • Freiheitsentziehung: Dies ist der Oberbegriff für alle Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit einer Person einschränken. Die Ingewahrsamnahme ist eine Form der Freiheitsentziehung, die jedoch zeitlich und zweckmäßig begrenzt ist.
  • Platzverweis: Ein Platzverweis ist ein weniger einschneidendes Mittel als die Ingewahrsamnahme und dient der räumlichen Trennung einer Person von einem bestimmten Ort, ohne dass diese in Gewahrsam genommen wird. Er kommt oft zur Anwendung, wenn eine Gefahr durch die Anwesenheit der Person besteht, aber keine Ingewahrsamnahme erforderlich ist.

Zusammenfassung

Die Ingewahrsamnahme ist eine vorübergehende Freiheitsentziehung durch staatliche Behörden, die der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung dient. Sie stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte dar und unterliegt daher strengen rechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme ist zeitlich begrenzt und muss dokumentiert werden, um ihre Rechtmäßigkeit sicherzustellen. Anwendungsbereiche umfassen die Abwehr von Gefahren, die Sicherung von Strafverfolgungsmaßnahmen sowie den Schutz der betroffenen Person selbst.

Trotz ihrer Notwendigkeit in vielen Fällen birgt die Ingewahrsamnahme Risiken wie Rechtsmissbrauch, psychische Belastungen für Betroffene und rechtliche Grauzonen. Ähnliche Begriffe wie Untersuchungshaft oder vorläufige Festnahme unterscheiden sich in Dauer, Voraussetzungen und rechtlicher Grundlage. Insgesamt ist die Ingewahrsamnahme ein wichtiges, aber auch sensibles Instrument des Rechtsstaats, das sorgfältig und verantwortungsvoll eingesetzt werden muss.

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